Der Bundesgerichtshof hat die Verurteilung eines Angeklagten durch das Landgericht Hamburg wegen versuchten Totschlags aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung zurückverwiesen. (5 StR 175/22, PDF).
Der Angeklagte war beim Zusammentreffen mit dem körperlich überlegenen Nebenkläger von diesem sofort mit mehrfachen, kräftigen Faustschlägen in das Gesicht angegriffen worden, verlor dadurch seine Brille, geriet ins Straucheln und duckte sich. Um sich dagegen in dem hochdynamisch ablaufenden Geschehen zur Wehr zur setzen, zog er ein mitgeführtes Messer und stach damit mit bedingtem Tötungsvorsatz zunächst zwei Mal in den Bauchbereich des Nebenklägers, dann in dessen hinteren Oberschenkel und noch mindestens drei weitere Male in den Bereich des Oberkörpers. Das Landgericht stützte die Verurteilung maßgeblich auf die Erwägung, dass der Angeklagte mehrfach und sofort in lebensgefährlicher Weise zugestochen habe, ohne dass vorher weniger gefährdende Abwehrmaßnahmen erfolglos geblieben seien. Dies überschreite das Maß der erforderlichen Verteidigung gegenüber einem unbewaffneten Angreifer.
Der 5. Strafsenat bekräftigt die obergerichtliche Rechtsprechung, dass auch gegenüber einem unbewaffneten Angreifer der sofortige, das Leben des Angreifers gefährdende Einsatz eines Messers durch Notwehr gerechtfertigt sein kann. Dessen Gebrauch ist dann zwar regelmäßig anzudrohen und, sofern dies nicht ausreicht, der Versuch zu unternehmen, auf weniger sensible Körperpartien einzustechen. Voraussetzung dafür ist aber, dass die Drohung oder der weniger gefährliche Messereinsatz unter den konkreten Umständen eine so hohe Erfolgsaussicht haben, dass dem Angegriffenen das Risiko eines Fehlschlags zugemutet werden kann. Dabei dürfen in einer zugespitzten Situation an die zu treffende Entscheidung für oder gegen eine weniger gefährliche Verteidigungshandlung keine überhöhten Anforderungen gestellt werden. Deshalb ist die konkrete Kampfsituation bei der Prüfung zu berücksichtigen. Das Landgericht hätte aufgrund dessen konkret benennen müssen, welche weniger gefährliche, aber ausreichend wirksame Abwehrhandlung dem Angeklagten in dem hochdynamischen Kampfgeschehen zur Verfügung gestanden hätte, um den Angriff endgültig zu beenden. Soweit das Landgericht darauf abgestellt habe, dass die Vielzahl der Stiche nicht erforderlich gewesen seien, fehlten konkrete Feststellungen zu der Abwehrwirkung des ersten oder der nachfolgenden Stiche.
Der Angeklagte wurde im Revisionsverfahren durch Rechtsanwalt Dr. Ritter verteidigt.